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Di-Fr 12–18 Uhr | Do 12–22 Uhr | Sa-So 11–17 Uhr
– Archiv der unsichtbaren Katastrophe –
Am 26. April 1986 ereignet sich die Reaktor-Katastrophe von Tschornobyl (russ. Tschernobyl): Während Geigerzähler weltweit ausschlagen, schweigt die Sowjet-Presse, mit schwerwiegenden Folgen für die Bevölkerung. Jahre später bereist die Autorin Swetlana Alexijewitsch die Gegend und zeichnet die Erzählungen vieler Betroffener auf, die in das Buch «Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft» einfliessen. Die Ausstellung zeigt erstmals Materialien aus dem umfassenden Video-Archiv zur unsichtbaren Katastrophe.
Die spätere Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch bereist in den 1990er-Jahren gemeinsam mit der Journalistin Tatsiana Loginova belarusische Gebiete, die nach dem Reaktor-Unfall radioaktiv kontaminiert sind. Sie interviewt Zeug:innen der Katastrophe, die wieder in ihren Häusern leben, oder von Anfang an der Evakuierung trotzten, einfach dageblieben sind – und hört zu. 40 Jahre nach der Reaktor-Katastrophe zeigt die Ausstellung erstmals Ausschnitte aus dem umfangreichen Video-Archiv – zeigt Gesten und Blicke, macht Stimmen hörbar und den Entstehungsprozess des Buches, die literarische Montage und Verarbeitung des Ausgangsmaterials zum Tschernobyl-Buch nachvollziehbar.
In ihren Berichten erzählen die Betroffenen immer wieder, dass für sie damals keine Bedrohung zu sehen war. So erzählt Frau Kovalenko, dass der «Flieder blühte», die «Kirschen dufteten», der «Frosch quakte» und der «Wurm kroch». Aber für die frisch verheiratete Ukrainerin Ljudmila Ignatenko wird das Trauma von Tschornobyl sofort real: Sie begleitet 14 Tage lang ihren Mann in der Moskauer Klinik für Strahlenkrankheiten in den Tod, er war als einer der ersten Feuerwehrleute vor Ort, um den Brand im Kraftwerk zu löschen.
«Sie waren ohne die Segeltuchmonturen gefahren und hatten nur Hemd und Hose an. Man hatte ihnen nichts gesagt, sie waren zu einem normalen Feuerwehreinsatz geholt worden.»
«Tschernobyl» erscheint Jahre nach dem Reaktor-Unfall, als die Aufmerksamkeit für die Katastrophe längst vorüber ist. Mit Alexijewitschs «Chronik» werden die Geschichten der Betroffenen und ihr Leiden für viele Menschen überliefert. Denkmal und Mahnmal zugleich, erinnert der Text die unsichtbare Katastrophe und ist 40 Jahre später erschreckend aktuell: Alexijewitschs literarische Sichtbarmachung der Risiken eines blinden Vertrauens in die Allmacht von Technik wird mit der Katastrophe von Fukushima 2011 erneut von der Wirklichkeit bestätigt. Tschornobyl heute wiederum zeigt der Welt, welche Gefahr von der nuklearen Technologie ausgeht, als Anfang 2025 im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine Drohne über dem neu errichteten Schutzschild explodiert und diesen schwer beschädigt.
Vernissage
Donnerstag 16. April, 18 Uhr, im Strauhof
Konferenz
«Eastern Europe’s Inivisibilities. Politics, Epistemics, Arts», 6.-8. Mai, an der UZH
Die belarusische Schriftstellerin Svetlana Alexijewitsch wird 1948 in Stanislaw in der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren. Sie schreibt Romane, Kurzgeschichten, Essays und Reportagen. «Für ihr vielstimmiges Werk, das dem Leiden und Mut in unserer Zeit ein Denkmal setzt», erhält Alexijewitsch 2015 den Literatur-Nobelpreis. Seit 2020 lebt Alexijewitsch im Berliner Exil.
«Černobylskaja molitva» erscheint 1997. «Tschernobyl-Gebet» folgt in deutscher Übersetzung von Ingeborg Kolinko 1997 im Berlin-Verlag, nach mehreren Versionen erscheint 2019 «Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft» im Suhrkamp-Verlag in Übersetzung von Ingeborg Kolinko und Ganna-Maria Braungardt.





Impressum
Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Slavistische Literaturwissenschaft am Slavischen Seminar der Universität Zürich, Prof. Dr. Sylvia Sasse und geht aus dem Dissertationsprojekt von Philine Bickhardt zur Dokufiktionalität im Werk von Swetlana Alexijewitsch hervor.
Kuration: Philine Bickhardt
Wissenschaftliche Begleitung: Sylvia Sasse
Projektleitung: Philip Sippel und Rémi Jaccard
Archiv: Blinken OSA Archivum