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Frischs Fiche
und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg
«Ich bekenne, dass ich dieser Regierung kein Vertrauen mehr schenke», schreibt Max Frisch in seinem letzten Typoskript. Wie hunderttausende andere Personen wurde er jahrzehntelang vom Schweizer Staat observiert und fichiert. Empört zerschneidet und kommentiert der Schriftsteller seine Fiche – und produziert daraus die Collage «Ignoranz als Staatsschutz?». Auch in den weiteren «Geschichten aus dem Kalten Krieg» hinterfragen Autorinnen und Autoren die herrschenden Verhältnisse in der Schweiz der 1980er Jahre.
Ausstellung verlängert bis zum 27. August 2017!
Von den Jugendunruhen 1980 bis zum Fichenskandal 1989 ist das Jahrzehnt geprägt vom Kalten Krieg. Die Furcht vor einer Invasion sowjetischer Panzer ist ihr dringlichstes Sinnbild, doch mindestens so stark wirkt die Vorstellung, dass jegliche Abweichung von einem konservativen Wertekanon nur durch Lenkung und Unterwanderung aus Moskau erklärbar sein kann. Um dieser – aus heutiger Sicht – primär imaginierten Gefahr entgegenzuwirken, intensiviert der Staat seine Überwachungstätigkeit und sammelt unkontrolliert Daten verdächtiger Personen und Gruppierungen von Intellektuellen über Naturschützer bis zur Frauenbewegung. Parallel wird eine Geheimarmee aufgebaut, die im Ernstfall aus dem Untergrund gegen die Besatzer operieren sollen.
Die Ausstellung im Strauhof will die Verflechtungen zwischen Literatur und politischer Lage in der Schweiz der 80er Jahre anhand einer Reihe ausgewählter Texte nachzeichnen. Dabei verfolgt sie insbesondere die Wechselwirkung zwischen Realität und Imagination, zwischen Beobachtern und Überwachten, zwischen Anklage und Empörung. Ausgehend von Frischs Fiche, die der Schriftsteller sofort nach ihrem Erhalt zu kommentieren und ergänzen beginnt, werden neun weitere Geschichten erzählt, die diesem Zeitgeist nachspüren.
Zum Auftakt der Ausstellung stehen Originaldokumente rund um Frischs Fiche im Zentrum: Im letzten Typoskript vor seinem Tod verleiht Max Frisch seiner Empörung über den staatlichen Überwachungsapparat Ausdruck. Dazu verwendet er eine Collagetechnik, indem er seine Fiche zerschneidet und mit eigenen Einträgen ad absurdum führt.
Danach folgen acht weitere Geschichten, die von Schauspieler|innen vorgelesen und als Videos inszeniert werden. Dort treffen Augenzeugenbericht, Anklage und Analyse auf Erfindung und Erzählung, Zeitdokumente auf heutige Werke.
Mit Texten von Friedrich Dürrenmatt (1921–1990), Max Frisch (1911–1991), Reto Hänny (*1947), Lukas Hartmann (*1944), Franz Hohler (*1943), Mariella Mehr (*1947), Niklaus Meienberg (1940–1993), Otto F. Walter (1928–1994), Gertrud Wilker (1924–1984), Laure Wyss (1913–2002), Urs Zürcher (*1963)
«Die Bewegung, durch das Schreiben einen Zugriff auf die Wirklichkeit zu erlangen, ist durchaus charakteristisch für die neun Situationen, die Philip Sippel und Rémi Jaccard für ihre kluge Ausstellung gewählt haben […].»
Andreas Tobler: «Ein Rudel Hirsche in Zürich». In: Tages-Anzeiger, 9. Juni 2017.
«Wie intensiv die Bezüge zwischen der politischen Situation der 1980er-Jahre und der literarischen Produktion waren, erhellt die spannend geratene Schau ‹Frischs Fiche und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg› im Strauhof in Zürich.»
Torbjörn Bergflödt: «Geschichten aus dem Kalten Krieg – Ausstellung im Zürcher Strauhof». In: Südkurier, 3. Juli 2017.
«Dem Strauhof-Team gelingt es erneut, die Gemüter in Bewegung zu setzen. Die Schau mit dem Titel ‹Frischs Fiche und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg› fordert zur Stellungnahme auf. Keine leichte, aber eine ebenso notwendige wie spannende Sache.»
Angelika Maass: «Gelegentlich auch infam». In: Der Landbote, 8. Juli 2017.
Reader «Frischs Fiche und andere Geschichten aus dem Kalten Krieg»
Herausgegeben von Philip Sippel und Rémi Jaccard, gestaltet von Weicher Umbruch.
Zürich 2017, 134 Seiten.
ISBN: 978-3-9524547-5-6 | im Strauhof erhältlich | CHF 12
Kuration
Rémi Jaccard & Philip Sippel
Szenografie
Ortreport
Grafik
Weicher Umbruch
Video: Georg Lendorff
Sprecher|in: Miriam Japp / Thomas Sarbacher
Illustrationen: Julia Kuster
Leihgeber
Max Frisch-Archiv an der ETH-Bibliothek, Schweizerisches Literaturarchiv, Bundesarchiv, Urs Zürcher und Reto Hänny
Unterstützt durch
Ernst Göhner Stiftung
Mariella Mehr: «gopferdeckelduseckel» (1984)
gelesen von Miriam Japp; Video: Georg Lendorff, Produktion: Strauhof
Hintergrund-Video: Überwachung in der digitalen Gesellschaft
Überwachung ist heute omnipräsent – der Video-Beitrag behandelt die Frage: Wo und wie werden wir heute überwacht – und wollen wir das auch?
Das Video wurde im Rahmen eines Medienpraktikums am Strauhof produziert. Idee und Umsetzung: Sandhya Mirajkar (ZHdK Cast/audiovisuelle Medien)