Schreibrausch

«Schreibrausch» thematisiert die Verbindung ekstatischer Momente und literarischer Inspiration. Als «furor poeticus» existiert seit der Antike die Vorstellung, dass wahre Literatur nur im Zustand rauschhafter Entrückung geschrieben werde. Die Ausstellung im Strauhof will dieses Phänomen in all seinen Höhen und Tiefen ausloten.

Der Topos des «furor poeticus» findet sich in der Renaissance wie im Geniekult der Goethezeit wieder und erlebt ein erstaunliches Revival in der Moderne, prominent etwa bei Kafka und Rilke. Und noch in unseren Tagen erzählen viele Autorinnen und Autoren von der Erfahrung eines «Schreibrausches». Die Schilderung aussergewöhnlicher Entstehungsbedingungen gehört fast schon obligatorisch als Begleitnarrativ zum literarischen Text dazu.

Die Ausstellung verfolgt die verschiedenen Stadien im Schreibprozess: von der notorischen Blockade bis zu exzessiven Formen der Graphomanie. Die BesucherInnen sind eingeladen, in die faszinierende Welt dichterischer Inspiration einzutauchen und den Rausch der Kreativität in Schriftbildern, Schreibszenen und schriftstellerischen Selbstaussagen zu erkunden. Mit Exponaten von Peter Bichsel, Hermann Burger, Jean Cocteau, Friedrich Dürrenmatt, Marie von Ebner-Eschenbach, Jack Kerouac, Thomas Mann, Friederike Mayröcker, Mariella Mehr, Paul Nizon, Meret Oppenheim, Marcel Proust, Robert Walser, Adolf Wölfli u.v.m.

«Damit es Kunst gibt, damit es irgend ein ästhetisches Thun und Schauen gibt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch.»

Friedrich Nietzsche

Zum einen ist die Ausstellung den diversen Schreibprozessen und -praktiken gewidmet: Wie bringt man sich zum Schreiben? Was tun, wenn es nicht läuft? Diese Frage treibt Schriftstellerinnen und Schriftsteller seit jeher um. Und sie bedienen sich dabei verschiedener Methoden, um in Schreibfluss zu gelangen, der sich dann bestenfalls bis zum Schreibrausch steigern kann. Neben substantiellen Enthemmern wie Alkohol, Opiaten und anderen Stimulanzien gibt es auch experimentelle Techniken, um ein gelöstes Schreiben zu befördern – so zum Beispiel die «écriture automatique» der Surrealisten oder das Cut-Up-Verfahren der Beat-Literaten. Nicht zuletzt zielen solche Experimente im Resultat auch darauf ab, durch die Texte selbst einen Rauschzustand zu erzeugen oder mindestens eine rauschhafte Wahrnehmung zu simulieren.

Zum anderen beleuchtet die Ausstellung dann spezifische Ausprägungen rauschhaften Schreibens: So schwierig der Anfang mitunter auch sein kann – umso grösser ist die Euphorie, wenn das Schreiben plötzlich wie von selbst läuft. Die Literaturgeschichte kennt zahlreiche Aussagen, die von solchen Momenten höchster Produktivität sprechen. Doch wie manifestiert sich der flüchtige Augenblick des Rausches? Blitznotizen, randvoll beschriebene Blätter, verdichtete Texte oder hektische Schriftzüge, ellenlange Papierrollen und mehrfach angeklebte Manuskriptstreifen zeugen noch heute sichtbar von der besonderen Intensität beim Schreiben. Nicht immer entsteht dabei Sinnvolles und Verständliches. Der Rausch ist nur die eine Seite, auf ihn folgen oft zähe Stunden der Überarbeitung.

Die Ausstellung geht den Spuren und Geschichten solch rauschhafter Schreibmomente nach und stellt schliesslich auch die Frage nach der Kehrseite des Rausches: seiner lähmenden Wirkung sowie seiner pathologischen Seite bei zwanghaftem Schreibverhalten.


Das digitale Resultat des «Cadavre exquis», an dem Ausstellungsbesucher im Strauhof auf einer Schreibmaschine mitschreiben, ist hier nachzulesen: strauhof.ch/schreibmaschine

«Die Angst vor dem Anfang: Sie wird fast körperlich spürbar in Manuskriptblättern von Wolfang Koeppen, die die Strauhof-Ausstellung eröffnen. ‹Meine Mutter fürchtete die Schlangen›: Immer wieder taucht er auf, der Satz, der die Erzählung ‹Jugend› einleitet. Der Satz, der von Anfang an feststand und wie eine Boje im Meer der Erinnerungen trieb, ohne dass sich Koeppen an ihr festhalten konnte.»
Thomas Ribi: «Ariadne gibt es nicht». In: NZZ, 10. Februar 2017.

«Opium und Alkohol, Nikotin und Disziplin – wer kreativ sein will, ist es auch bei der Wahl der Mittel. Eine wunderbare Ausstellung folgt Schriftstellern auf ihrer manischen Suche nach Inspiration.»
Julia Stephan: «Schreibstau und Schreibrausch». In: Luzerner Zeitung, 13. Februar 2017.

«Am Anfang der anregenden Schau ‹Schreibrausch›, die Andreas Schwab und Magnus Wieland mit ihrem Team in den Strauhof in Zürich gezaubert haben, steht eine bis auf Platon zurückgehende und von Nietzsche beglaubigte Grundthese. Ihr zufolge macht rauschhafte Entrückung eine dichterische Produktion überhaupt erst möglich.»
Torbjörn Bergflödt: «Von der Muse (un)geküsst». In: Südkurier, 21. Februar 2017.

«Die Ausstellung ‹Schreibrausch – Faszination Inspiration› im Museum Strauhof fördert Einsichten und facht die Leselust an: Kann Literaturfreunden Besseres passieren?»
Angelika Maass: «Rausch des Schreibens, Schreiben im Rausch». In: Der Landbote, 22. Februar 2017.

Pressespiegel «Schreibrausch»

Reader «Schreibrausch – Faszination Inspiration»
Herausgegeben von Magnus Wieland und Andreas Schwab, gestaltet von Lars Egert.
156 Seiten, Strauhof Zürich 2017.


Kuration
Andreas Schwab (Palma 3) und Magnus Wieland (SLA)

Szenografie
Ushi Gillmann

Grafik
Lars Egert